Maria Montessori Portrait lesend 1913

Blitzlicht aus der Forschungswerkstatt "Montessori-Pädagogik im Kontext des deutschen Nationalsozialismus" – Frühjahr 1933: Zwischen Anpassung und Absage

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wird der für Ende Juli 1933 geplante weltweite Montessori-Kongress kurzfristig von Mainz nach Amsterdam verlegt.

Es ist Mitte April 1933.

Kaum zwei Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 hatte das neue Regime mit dem Ermächtigungsgesetz die demokratischen Institutionen entmachtet. Verfolgungsmaßnahmen verschärften sich: Am 1. April rief die NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte auf, am 7. April folgte das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Jüdische und politisch missliebige Personen verloren ihre Stellung im öffentlichen Dienst – darunter zahlreiche Montessori-Pädagog:innen wie Clara Grunwald, Mitbegründerin der Deutschen Montessori Gesellschaft.

Inmitten dieser dramatischen Veränderungen steht Dr. Herbert Axster, Berliner Rechtsanwalt und frisch ernannter Generalsekretär der Association Montessori Internationale (AMI), vor einer heiklen Entscheidung: Kann der dritte weltweite Montessori-Kongress wie geplant Ende Juli 1933 in Mainz stattfinden?

Der Tagungsort Mainz war ein Jahr zuvor beim Kongress in Nizza festgelegt worden. Auch war der AMI-Sitz erst kürzlich von Rom nach Berlin verlegt worden – beides ist Ausdruck der Bedeutung Deutschlands für die Montessori-Bewegung. Doch nun ist die Lage unklar. Axster berichtet aus Regierungskreisen, „dass eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der deutschen Montessoribewegung noch nicht gefallen“ sei – eine alarmierende Entwicklung.

Am 11. April wendet er sich vorsichtig an Franz Josef Niemann, den Leiter des gastgebenden Mainzer Instituts für Völkerpädagogik, und fragt, ob der Kongress „angesichts der politischen Wandlungen“ überhaupt noch denkbar sei. Niemann antwortet am 21. April mit einer politisch vorsichtigen Absage: Wegen vermutlich ausbleibender internationaler Gäste und dem Verlust bisheriger politischer Rückendeckung rät er schweren Herzens von der Durchführung ab. Eine Verschiebung sei ratsam – „ein Fieber verlangt Zeit zur Heilung“, so seine Metapher für die negative Reaktion des Auslands.

Axster handelt schnell. Mitte Mai kann er die Niederländische Montessori-Vereinigung (NMV) dafür gewinnen, den Kongress kurzfristig in Amsterdam auszurichten. Maria Montessori stimmt der Verlegung zu. Die Tagung findet – unter geänderten Vorzeichen – Ende Juli 1933 in Amsterdam statt.

Seiten aus Akte Montessori Tagung 1933 Mainz Stadtarchiv Deckblatt

Blitzlichter aus der Forschungswerkstatt

Soweit das erste Blitzlicht aus dem Forschungsprojekt Montessori-Pädagogik im Kontext des Nationalsozialismus, das im Februar 2025 offiziell begonnen hat. (Siehe die Pressemitteilung vom 20.02.2025.)

Dass der Montessori-Kongress 1933 überhaupt ursprünglich in Mainz stattfinden sollte, ist weithin unbekannt, und die Hintergründe für die Verlegung nach Amsterdam sind in der beschriebenen Genauigkeit noch nie offengelegt worden. Neu entdeckte Funde im Stadtarchiv Mainz machten dies möglich; hieraus stammen die oben genannten Zitate.

Wie die Verlegung und die vorangegangene Entscheidungsfindung aus niederländischer Sicht ablief, wird bei Archivbesuchen im Juli 2025 in Amsterdam untersucht und in einem weiteren Blitzlicht veröffentlicht. Bereits Mitte März 1933 hatte nämlich mindestens eine Amsterdamer Schule an den NMV-Vorstand dringend appelliert, auf eine Verlegung des Kongresses hinzuwirken, mit der Betonung, „dass dieser Appell nicht nur aus Angst um das Wohlergehen aller Kongressdelegierten erfolgt, sondern auch als Ausdruck des Protests gegen alle Umstände, die den Prinzipien von Freiheit und Frieden, wie sie Maria Montessori in ihren Reden und Schriften vertritt, vehement widersprechen.“ [Quelle: Amsterdamer Stadtarchiv]

Auch ist ein Blitzlicht in Vorbereitung, das beleuchtet, wie es dazu kam, dass die AMI ihren Sitz Ende 1932 vom faschistischen Rom in das absehbar vom Faschismus bedrohte Berlin verlegte.

So präsentieren wir in regelmäßigen Abständen Blitzlichter aus der Zeit vor und nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die Einblicke in diesen bedeutsamen historischen Abschnitt gewähren. Im Verlauf des Projekts werden sich diese Momentaufnahmen zu einem umfassenden Gesamtbild zusammenfügen, das dann ebenfalls veröffentlicht wird.

 

Finanzierung des Forschungsprojekts

Auch wenn das Forschungsprojekt „Montessori-Pädagogik im Kontext des deutschen Nationalsozialismus“ durch eine großzügige Zuwendung einer Stiftung finanziell unterstützt wird, bleibt eine in diesem Jahr zu schließende Lücke von ca. 30.000 €, für die wir interessierte Personen oder Organisationen um Spenden bitten, um das Projekt finanziell endgültig absichern zu können. Mehr Infos gibt es hier.

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