Maria Montessori lesend (Foto aus dem Jahr 1913)

2. Blitzlicht aus der Forschungswerkstatt „Montessori-Pädagogik im Kontext des deutschen Nationalsozialismus"

Es ist der 25.02.1933, knapp ein Monat nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.

Der Berliner Patentanwalt Dr. Herbert Axster, VMPD-Vorstandsvorsitzender und AMI-Generalsekretär, schreibt einen vertraulichen persönlichen Brief an Mario Montessori (in ihrer gemeinsamen Sprache, Englisch).

„Du weißt, dass es nicht leicht für mich ist, da ich diese Leute, die uns nun anführen, nicht wirklich mag.“

Wie kommt aber Herbert Axster zu diesem Zeitpunkt zu diesen wichtigen Positionen in der Montessori-Bewegung? Welche Herausforderungen und Entscheidungen liegen vor ihm? Hiervon handelt dieses Blitzlicht.

Verein Montessori-Pädagogik Deutschlands e.V. (VMPD)

Maria Montessori hatte der Deutschen Montessori-Gesellschaft (DMG) 1928 den Status als offizieller Ausbildungskursanbieter entzogen, da die DMG vom von ihr vorgegebenen Curriculum.  Daher überlegte sie, zusammen mit ihrem Sohn Mario, wie man in Deutschland eine neue Dachorganisation etablieren könnte. (Mario hatte begonnen, die geschäftliche Seite der Montessori-Bewegung zu übernehmen.)

Maria und Mario bezogen Ilse Axster, Teilnehmerin am Ausbildungskurs in Berlin 1926-27, und ihren Mann Herbert Axster ein und entwickelten gemeinsam die Idee eines neuen Verbands auf nationaler Ebene. 1929, vermutlich beim 1. Internationalen Montessori-Kongress in Helsingör (Dänemark), wurden die Pläne spruchreif und Herbert Axster bekam den Auftrag, den Verein Montessori-Pädagogik Deutschlands (VMPD) zu gründen und in Berlin eintragen zu lassen.

Montessori I blatter Int. M Gesellschaft S. 44

Der Gründungsvorstand bestand im Jahre 1930 aus Maria Montessori als Präsidentin, Axster als Geschäftsführender Vorsitzender sowie Valborg Müller und Josef Schröteler. Müller war Firmenchefin von Johannes P. Müller, die das Montessori-Material für Deutschland herstellten. Schröteler war Jesuitenpater, Autor des 1929 erschienen Textes „Die Montessori-Methode und die deutschen Katholiken“, der die Perspektive der deutschen Katholiken auf die Montessori-Pädagogik stark ins Positive gerückt hatte und  – was bislang kaum bekannt war – Leiter des katholischen Schulverbandes Katholische Schulorganisation Deutschlands.

Der VMPD war in den Folgejahren recht erfolgreich darin, sich gegen die DMG zu positionieren, so bei einer wichtigen Anhörung der Berliner Schulbehörde im Mai 1931 und bei einer reformpädagogischen Tagung im Oktober 1932. Der VMPD unternahm ebenfalls Aktionen, um sich mit der DMG zu versöhnen bzw. zu einer Organisation zu verschmelzen, doch scheinen diese taktischen Ursprungs gewesen zu Dem VMPD waren verschiedene Schulen und Kinderhäuser angeschlossen und man bemühte sich gerade um die Genehmigung einer weiteren Schule in Berlin. (Ob der VMPD sogar Träger dieser Einrichtungen war, ist noch nicht endgültig geklärt.)

Association Montessori Internationale (AMI)

Die Gründung der AMI war ebenfalls auf dem ersten internationalen Montessori-Kongress in Helsingör im August 1929 beschlossen worden, vorangetrieben vor allem von Mario Montessori, der die Aufgabe übernommen hatte, die weltweite Montessori-Bewegung in feste und loyale Strukturen zu bringen. (Es hatte Gründungen von nationalen Organisationen in vielen Ländern gegeben, bei denen ein gewisser unkontrollierter Wildwuchs zu verzeichnen war.)

Montessoris Ziel war zwar, die weltweite Zentrale der AMI bei der bestehenden italienischen Montessori-Gesellschaft Opera Nazionale Montessori (ONM) in Italien zu verankern. Sie war aber anfänglich keine eingetragene Gesellschaft, wodurch Montessori ein Druckmittel gegenüber der ONM hatte, die AMI gegebenenfalls woanders zu etablieren. Die ONM sollte nämlich mittels Satzungsänderung zur zentralen Organisation umfunktioniert werden. Durch die zunehmende Besetzung von ONM-Schlüsselpositionen durch faschistische Funktionäre entglitt Maria Montessori jedoch die Kontrolle über die ONM.

Während es erst im Januar 1933 zum endgültigen Bruch mit der ONM kam, ließ AMI-Generaldirektor Mario Montessori bereits auf dem 2. Internationalen Montessori-Kongress im August 1932 in Nizza durch Satzungsänderung beschließen, dass der eingetragene Sitz der AMI von 1932 bis 1934 in Berlin sein sollte. Hiermit sollte sicherlich auch die Unabhängigkeit von der ONM sichtbar demonstriert werden. Axster übernahm die zusätzliche Aufgabe des Generalsekretärs der AMI.

Die Wahl von Berlin und Axster lag darin begründet, dass der VMPD unter Axsters Führung loyal und kompetent agiert hatte; zusätzlich waren sich die Familien Axster und Montessori privat durch gemeinsame Urlaube nähergekommen. (Mario und Ehepaar Axster waren in ähnlichem Alter und hatten jeweils Kinder.)

Die Situation nach der Machtergreifung

Im erwähnten Brief von Axster an Mario Montessori vom 25.02.1933 wird die Entscheidungssituation deutlich.

Angesichts seiner Ablehnung der Nationalsozialisten („diese Leute“) hätte er überlegt, ob er seine Montessori-Ämter nicht niederlegen sollte, um jemandem anderen Platz zu machen, der besser mit der Situation umgehen könne. Er hätte aber keinen gefunden, und so stellte er sich der Verantwortung im Sinne der gemeinsamen Ziele.

So wollte er für den VMPD das bisher Erreichte „retten“ und zusätzlich „einen großen Schritt nach vorne zu machen, um für unsere Bewegung eine starke Stellung in der neuen Situation“ zu etablieren.

Hierzu müsste der VMPD vor allem bei den Ministerien und Behörden gegenüber der DMG abgegrenzt werden, die wegen ihres linken Einschlags „in kurzer Zeit untergehen“ würde. Konkret dürfte der Antrag auf Gründung der neuen Montessori-Schule in Berlin bei einem nunmehr nationalsozialistischen Bildungsminister (vorher SPD) nicht scheitern.

Ein Schlüssel hierzu wäre die Unterstützung durch den Reichsaußenminister Baron Constantin von Neurath, der von den Vorgängerregierungen Papen und Schleicher übernommen worden und Mitglied im Ehrenausschuss des VMPD war.

Andererseits bekräftigte Axster – im möglichen Gegensatz hierzu – die mit Mario gemeinsam geteilte Überzeugung, dass die Montessori-Bewegung „keine politische Arbeit zu tun“ habe und dass „wir jegliche politische Einflussnahme aus jedweder Richtung ablehnen würden“.

Er sprach in seiner Rolle als AMI-Generalsekretär auch den bevorstehenden internationalen Montessori-Kongress an, der im Juli 1933 in Mainz stattfinden sollte. Hierbei äußerte er aber noch keine Sorge wegen des Regimewechsels (siehe Blitzlicht 1), sondern erinnerte lediglich daran, dass Maria Montessori das Kongressprogramm abzeichnen müsste.

Wie sich all diese Dinge entwickeln, wird Gegenstand zukünftiger Blitzlichter sein.

Blitzlichter aus der Forschungswerkstatt

Soweit das 2. Blitzlicht aus dem Forschungsprojekt Montessori-Pädagogik im Kontext des Nationalsozialismus, welches im Februar 2025 offiziell begonnen hat. (Siehe die Pressemitteilung vom 20.02.2025.)

Die Aussagen der Blitzlichter gehen im Detaillierungsgrad über bisherige Darstellungen der Geschichte des VMPD und der AMI hinaus bzw. korrigieren diese. Sie stammen von Dokumenten aus teilweise bisher nicht allgemein zugänglichen bzw. neu „entdeckten“ Archiven und späteren persönlichen Aufzeichnungen von Herbert Axster.

Auch war bei den Recherchen ein Perspektivwechsel notwendig: Während in zentralen deutschen Archiven relativ wenig aus der damaligen Zeit zu finden ist, konnten wir in städtischen oder Landesarchiven in Deutschland interessante Fundstücke sichern, die auf Aktivitäten in der Hauptstadt Berlin rückverweisen. Ebenso gibt es in ausländischen Montessori-Archiven manche Korrespondenz aus Deutschland bzw. nach Deutschland, die zumindest einen Teil Geschehens damals beleuchten.

 

Wie geht es weiter?

Die nächsten Blitzlichter sind in Vorbereitung und sollen in etwa monatlichen Abständen erscheinen.

Im November werden wir den Streit zwischen der DMG und dem VMPD beleuchten, der eine Spaltung der Montessori-Bewegung in Deutschland darstellte und auch nach außen hin wesentlichen Reputationsschaden anrichtete. So wurde die Spaltung sogar bei einer regulären Sitzung des „Ausschusses für das Unterrichtswesen im Reichsministerium des Innern“ Ende Januar 1931 thematisiert, an welcher Vertreter aller Landes- und Provinzverwaltungen teilnahmen (quasi gleichbedeutend einem Arbeitsausschuss der Bildungsministerkonferenz heute).

Im Dezember werden wir die enge Freundschaft zwischen Mario Montessori und Herbert Axster inkl. ihrer Familien beleuchten, die das geschäftliche Rückgrat sowohl der AMI als auch der Zusammenarbeit zwischen VMPD und AMI damals darstellte.

Wir sehen bereits jetzt, wie sich die Sinnfälligkeit unseres Projektmottos bestätigt: „Wir wollen die Vergangenheit kennen, um für die Zukunft zu lernen.“ Die Projektergebnisse machen deutlich, wie der damalige Streit um Pädagogik und Macht der gesamten Montessori-Bewegung nach innen und außen bedeutend schadete.

Finanzierung des Forschungsprojekts

Das Forschungsprojekt „Montessori-Pädagogik im Kontext des deutschen Nationalsozialismus“ wurde mit dem Anspruch aufgesetzt, vollständig aus Drittmitteln finanziert zu werden, also das weitestgehend mitgliederfinanzierte Budget des Bundesverbands nicht zu belasten. Auch wenn es durch eine großzügige Zuwendung einer Stiftung finanziell unterstützt wird, bleibt eine in diesem Jahr zu schließende Lücke von ca. 30.000 €, für die wir interessierte Personen oder Organisationen um Spenden bitten, um das Projekt finanziell endgültig absichern zu können. Mehr Infos gibt es hier.

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