„Montessori ist mehr als Pädagogik – es ist eine Haltung fürs Leben.“ – Stephanie Probst im Interview
„Montessori ist mehr als Pädagogik – es ist eine Haltung fürs Leben.“
In ihrem Interview spricht Stephanie Probst, langjährige Leitung Mitgliederbetreuung & Verwaltung und seit 01. September Vorständin von Montessori Deutschland, über ihren Wechsel vom Finanzwesen in die Bildungswelt, über Visionen für eine zukunftsfähige Montessori-Pädagogik – und warum es jetzt professionelle Strukturen braucht, um der Montessori-Bewegung in Deutschland politisches Gewicht zu verleihen. Sie gibt Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Verbandsarbeit, den Einsatz für Qualitätsstandards – und ihre ganz persönliche Vorstellung einer idealen Bildungslandschaft.
Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Karriere im Finanzwesen aufzugeben und in die Montessori-Pädagogik zu wechseln?
Den Weg zur Montessori-Pädagogik habe ich, wie so viele andere auch, durch meine Kinder gefunden. Mit der Geburt meines ersten Kindes wurde mir bewusst, was schon junge Kinder alles können und machen wollen, und ich habe die Betreuungskonzepte in den herkömmlichen Kindergärten infrage gestellt. Ich war dann absolut begeistert von dem Angebot, das ich in einem Montessori-Kinderhaus in Hofheim gefunden habe, denn ich konnte viele Werte und meine eigene Haltung darin wiederfinden. Und ich habe gesehen, wie gut es meinem Kind in dieser Umgebung ging.
Über das Ehrenamt im Elternbeirat kam ich schnell in den Vorstand des Trägervereins, später hatte ich ein Amt im Aufsichtsrat und habe viele Jahre ehrenamtlich gearbeitet. Danach war ich Verwaltungsleitung eines großen Einrichtungsträgers und Geschäftsführerin bei einem großen Träger in Wiesbaden, der sowohl Kindertagesstätten als auch ein offenes Angebot für Kinder und Jugendliche hatte.
Als dann die Geschäftsstelle des damaligen Montessori Dachverbands nach Berlin verlegt werden sollte und mir angeboten wurde, die Geschäftsstelle dort aufzubauen und die Gründung des Bundesverbandes vorzubereiten, fiel mir die Entscheidung leicht. Denn so haben sich meine privaten und beruflichen Wege wunderbar ergänzt. Ich habe dann im neuen Bundesverband die Leitung für den Bereich Mitgliederbetreuung und Verwaltung übernommen. Inzwischen geht es in meinem Aufgabenbereich auch um die Gesamtgestaltung und die Frage „Wo wollen wir hin als Verband und als Montessori Bewegung?“.

Welche Ziele verfolgt der Bundesverband?
Die Montessori-Pädagogik bietet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten. Und um zu erreichen, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche in den Genuss dieser Pädagogik kommen, wollen wir als Bundesverband den Stellenwert der Montessori-Pädagogik in der Gesellschaft verdeutlichen.
Bei uns sind sowohl Einrichtungsträger als auch Ausbildungsorganisationen, Landesverbände und Personenvereinigungen Mitglieder, sodass hier wirklich die Menschen zusammenfinden, die sich für die Montessori-Pädagogik einsetzen. Ein übergeordnetes Ziel des Bundesverbandes ist es, die Kräfte dieser gesamten Montessori-Gemeinschaft zu bündeln.
Gleichzeitig geht es darum, die Bildungseinrichtungen, die die Montessori-Pädagogik vor Ort umsetzen, zu stärken und uns für die erforderlichen Rahmenbedingungen einzusetzen, damit sie gute Arbeit leisten können.
Ein dritter wichtiger Baustein ist für mich, die Qualität der Montessori-Pädagogik fortführend sicherzustellen. Eltern sollen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder in Montessori-Einrichtungen in ihrer Entfaltung gut begleitet werden.
Eine wichtige Aufgabe des Bundesverbands ist die Lobbyarbeit, um sich für die Anliegen der Mitglieder in Richtung Bundespolitik stark zu machen. Was sind aktuell aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen?
Damit Kinderhäuser und Schulen gute Arbeit leisten können, brauchen sie die entsprechenden finanziellen und materiellen Rahmenbedingungen, aber natürlich auch die Menschen, die mit Begeisterung die Pädagogik vor Ort umsetzen. Auch in Montessori-Einrichtungen macht sich der Lehrkräfte- und Kita-Fachkräftemangel bemerkbar. Hier muss an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. Das eine ist, die Wahrnehmung der Montessori-Pädagogik zu stärken und die Einrichtungen als attraktiven Arbeitgeber sichtbar zu machen. Zum anderen – und das ergibt sich auch aus den Ergebnissen unserer Absolventenstudie – ist es wichtig, dass wir uns dafür einsetzen, dass die Abschlüsse an Montessori-Schulen Anerkennung finden und von Arbeitgebern gesehen wird, was Montessori-Absolvent:innen mitbringen.
Ein wichtiger Aspekt der Lobbyarbeit ist, auch auf Bundesebene auf die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft Einfluss zu nehmen. Sie benötigen Planungssicherheit und erwarten Gleichbehandlung. Hier wollen wir die wichtige Arbeit der Landesverbände ergänzen.
Wir beteiligen uns außerdem gemeinsam mit anderen Bildungsakteur:innen an demokratischen Prozessen wie dem Appell der Initiative #NeustartBildungJetzt - Bildungsdialog für Deutschland und bringen unsere Position hier ein – für eine vielfältige und chancengerechte Bildungslandschaft, in der auch die Montessori-Einrichtungen einen festen Platz haben. Auf nationaler und internationaler Ebene setzen wir uns mit gesellschafts- und bildungsrelevanten Themen auseinander. Wir sind beispielsweise Mitglied der UN National Coalition, die sich für Kinderrechte einsetzt.
Die Verbandsarbeit basierte überwiegend auf ehrenamtlichem Engagement. Ist eine gute Lobbyarbeit so überhaupt zu schaffen?
Eine starke Lobby braucht Schlagkraft. Um Gehör bei den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern zu finden, bedarf es Hartnäckigkeit – und das Gespür dafür, mit den richtigen Themen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Präsenz ist im Wettbewerb um Wahrnehmung einfach ausschlaggebend. Wenn wir eine Lobby für die Montessori-Einrichtungen bundesweit sein und auch von der Bundespolitik wahrgenommen werden wollen, müssen wir uns deshalb professionell aufstellen.
So wurde beim Montessori Bundesverband Deutschland e.V. der bisher ehrenamtliche Vorstand, bestehend aus fünf Mitgliedern, abgelöst durch zwei hauptamtliche Vorstände, die von einem Aufsichtsrat bestellt worden sind. Damit ist die Abhängigkeit vom Ehrenamt aufgelöst worden. Viele große Bildungsträger sind diesen Weg bereits erfolgreich gegangen und wir hoffen, damit unsere Struktur ebenfalls effektiv gestalten zu können.
Wir haben schon über Lobbyarbeit gesprochen. Wie unterstützt Montessori Deutschland seine Mitglieder außerdem konkret?
Wir wollen dazu beitragen, den Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort den Berufsalltag zu erleichtern. Dazu bauen wir verschiedene Vernetzungs- und Fortbildungsangebote auf, sowohl virtuell als auch durch Fachtage wie Montessori Move.
Wir unterstützen unsere Mitgliedseinrichtungen außerdem mit einem Stellenportal und haben eine Kampagne zur Nachwuchskräftegewinnnung mit dem Titel „Let’s Go Montessori“ gestartet. Auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf Bundesebene ist unsere Aufgabe, damit die Montessori-Pädagogik mit all ihren positiven Aspekten wahrgenommen wird.
Unsere Mitglieder profitieren außerdem von Sonderkonditionen, die wir mit unseren Kooperationspartnern aushandeln, wie beispielsweise der Internationalen Hochschule IU, dem Hersteller von Montessori-Materialien Nienhuis, der Agentur für Bildungsjournalismus oder dem Institut für Bildungsrecht und Bildungsforschung.
Die Montessori Pädagogik hat sich über mehr als 100 Jahre immer wieder als zeitgemäßes Bildungskonzept herausgestellt. Allerdings befinden wir uns in einem gesellschaftlichen und technischen Transformationsprozess von nie dagewesenem Tempo. Was tut der Bundesverband dafür, dass die Marke Montessori in Deutschland zukunftsfähig bleibt?
Die Montessori-Pädagogik ist inhaltlich tatsächlich zeitlos, denn sie bietet aus neurowissenschaftlicher Sicht die passende Umgebung für gehirngerechtes Lernen.
Selbstverständlich müssen sich auch Montessori-Einrichtungen den aktuellen Herausforderungen stellen, die durch die schnellen Veränderungen in unserer Gesellschaft entstehen: Digitalisierung ist ein Aspekt, aber auch eine zunehmende Heterogenität und Diversität in ihrer vollen Bandbreite.
Wir fördern deshalb als Bundesverband den fachlichen Austausch, um gemeinsam mit unseren Mitgliedern Antworten auf aktuelle Fragen geben zu können und sie in den Kontext der pädagogischen Arbeit der Montessori-Einrichtungen zu setzen. Mit dem Bespielen sozialer Medien und Vernetzungsangeboten bietet Montessori Deutschland erste Plattformen an.
Der Qualitätsrahmen ist auch in diesem Kontext ein weiterer wichtiger Baustein, um die Montessori-Pädagogik gemeinsam weiterzuentwickeln und auch um unsere Standards nach außen zu kommunizieren.
Weshalb sind Qualitätsstandards so wichtig?
Die Marke Montessori verspricht Qualität, ist aber nicht geschützt. Montessori Deutschland hat mit dem Qualitätsrahmen erstmals Standards festgelegt, die überprüfbar sind und den Einrichtungen vor Ort Orientierung bieten – und Schutz vor unqualifizierter Konkurrenz. Um den Qualitätsrahmen in die Fläche zu bringen und in der Bildungsöffentlichkeit bekannt zu machen, braucht es jetzt eine verlässliche, professionelle Verbandsarbeit.
Noch eine persönliche Frage zu guter Letzt: Wie würde eine ideale Bildungslandschaft für Sie aussehen?
Mein Wunsch wäre zum einen, dass die Pädagogen und Pädagoginnen in Montessori-Einrichtungen alle Voraussetzungen dafür erhalten, um mit Leichtigkeit ihrem Bestreben nachgehen zu können. Die Rahmenbedingungen sind oft schwer und von dieser Schwere würde ich gerne etwas wegnehmen können.
Ich stehe voll und ganz hinter dem Ziel von Montessori Deutschland, wirklich allen jungen Menschen eine Bildung zu ermöglichen, durch die sie ihr Potenzial entfalten können. In einer idealen Bildungslandschaft hätten deshalb alle Kinder und Jugendliche die geeigneten Voraussetzungen, um sich zu mündigen, selbstständigen Erwachsenen, mit sozialem, ethischem und politischem Verantwortungsgefühl und besonderem Verständnis für den Frieden und die Umwelt, entwickeln zu können. So, wie es in der Präambel unserer Satzung steht. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft Menschen, die aus einer solchen Bildung hervorgehen, dringend braucht. Und das ist für mich persönlich Antrieb, meine Energie und Kraft darauf zu verwenden, die Ziele des Verbandes umzusetzen und gemeinsam mit den Akteur:innen der Montessori-Pädagogik, einen gesellschaftspolitischen Fußabdruck zu hinterlassen.